Unter dem Titel "Nichts für Warmduscher" erschien in der Januar-Ausgabe 2008 der Studentenzeitung STUZ ein Interview mit Stefan Schulze Beiering.

Text und Cover mit freundlicher Erlaubnis der Redaktion.


Nichts für Warmduscher

Stefan Schulze Beiering, Autor des Buches „Schein und Wirklichkeit. Die Geisteswissenschaft aus kritischer Distanz“, über den Bologna-Prozess, sein eigenes Studium und kalte Duschen für Geisteswissenschaftler.


STUZ: In Ihrem Buch „Schein und Wirklichkeit" kritisieren Sie die Art und Weise wie Geisteswissenschaften an Universitäten vermittelt werden. Was stört Sie daran am meisten?

Stefan Schulze Beiering: Der Sprachgebrauch, also der komplizierte Satzbau und die inhaltsleere Sprache. Besser wäre eine Sprache, die man problemlos verstehen kann.  

Was möchten Sie mit dem Titel „Schein und Wirklichkeit" sagen? Eine Provokation?

Natürlich soll er provozieren. Ich meine, dass Geisteswissenschaften nur zum Schein gebildet und klug sind, in Wirklichkeit aber eingebildet und unklug. Ferner spiegelt der Titel den Aufbau des Buches wieder. Ich zitiere Passagen aus den Werken bekannter Geisteswissenschaftler und übersetze diese in wirkliche, leicht verständliche Sprache. Auch auf diesen Kontrast zwischen der scheinbaren Komplexität der Themen und den eigentlichen Aussagen spielt der Titel an.

Sie vergleichen Geisteswissenschaften mit Naturwissenschaften. Wo sehen Sie die Parallelen?
Eine grundsätzliche Parallele ist die Wissenschaftlichkeit selbst. Die analytischen Methoden, die in den Geisteswissenschaften angewendet werden, machen sie zu einem Klon der Naturwissenschaften. Das für die Geisteswissenschaften typische Über-Texte-sprechen funktioniert nach trockenen, wissenschaftlichen Vorlagen. Aber diese Zwangsjacke sollte man weglassen.

Was ist falsch daran?

Die Methoden führen zu Schematismus und Formalismus: Man stellt eine These auf, belegt diese dadurch, dass man andere zitiert, die derselben Meinung waren und bestätigt damit die These. Das Ganze muss möglichst allgemeingültig scheinen. Durch die strikte Verklausulierung ist außerdem die Sprache schwer zu verstehen. So wirkt alles sehr elitär und anspruchsvoller, als es ist. Das, was man eigentlich sagen will, interessiert dagegen nicht. Der Inhalt ist zu Gunsten der Form schwerer verständlich.

Ihr Buch wurde 2007, im Jahr der Geisteswissenschaften, veröffentlicht. Zufall?

Ja und nein. Ich wollte das Buch eigentlich schon ein Jahr früher veröffentlichen. Allerdings hatte ich Schwierigkeiten es bei einem Verlag unterzubringen. So bekam ich Selbstzweifel und ließ es in einer Schublade verschwinden. Als dann 2007 das Jahr der Geisteswissenschaften begann, konnte ich nicht anders, als es noch mal zu versuchen.

Sie selbst haben Geschichte und Deutsch studiert. Waren Sie während Ihres Studiums schon unzufrieden mit der Art wie Geisteswissenschaften praktiziert werden?

Ja, vor allem in Deutsch. Ich fand die Lerninhalte total lebensfern und viel zu theoretisch. Das eigene Sprachgefühl wurde auf sachliche Analyse reduziert.  

Haben Ihre Kommilitonen das auch so gesehen?

Teilweise. Einige meiner Freunde haben das Studium abgebrochen. Ein Dozent hat das Problem einmal auf den Punkt gebracht. Er sagte: „Die inneren Gefühle werden durch die Eisdusche der Wissenschaft gekühlt."

Dennoch haben Sie Ihr Studium beendet.

Das stimmt. Allerdings war ich zwischendurch so frustriert und irritiert, dass ich mir nach dem Grundstudium eine Auszeit nahm. Ich verbrachte ein Jahr in Paris. Hier las ich Werke der Gründungsväter der Geisteswissenschaften, wie Kant oder Max Weber. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich anderer Meinung bin als sie. Ich ging mit der Ansicht zurück ins Hauptstudium, dass man anders an Texte herangehen müsste.

Haben Sie versucht das während des Studiums umzusetzen?

Ja, und damit bin ich bei vielen angeeckt. Ich bin sogar aus Seminaren geflogen. Nach meinem Studium wollte ich meine Doktorarbeit zur Innovation der Geisteswissenschaften schreiben. Allerdings lehnte mein Doktorvater das Thema ab.

Worüber haben Sie Ihre Doktorarbeit dann geschrieben?

Ich habe daraufhin keine Dissertation mehr geschrieben, denn ich wollte nicht nach wissenschaftlichen Gewohnheiten schreiben, die ich nicht akzeptiere.

Im Rahmen des Bologna-Prozesses werden an der Mainzer Uni ab dem Wintersemester 2008/09 alle Magister-Studiengänge auf Bachelor umgestellt. Denken Sie, dass sich die Lehre dadurch verbessert? Oder läuft die Universität Gefahr, Generalisten auszubilden?
Dadurch verspreche ich mir keine große Besserung. Ein Studium kann ruhig spezialisiert sein. Die Motivation zu dieser Umstellung ist nicht die Verbesserung der Lehre, indem die wissenschaftlichen Methoden reformiert werden. Es ist schlicht eine Maßnahme um die Studienzeit zu verringern und Geld zu sparen.

Was glauben Sie, wie die Vermittlung von Geisteswissenschaften und geisteswissenschaftlichem Arbeiten verbessert werden kann?

Es geht mir nicht um die Vermittlung, sondern um das Selbstverständnis der Fächer. Anstelle von Methoden braucht man anregende Gedanken und anstelle von Fachbegriffen in komplizierten Sätzen eine lebendige, freie Sprache.  

Aber gänzlich auf wissenschaftliche Methoden verzichten kann man auch nicht.
Doch. Diese Suche nach allgemeinen, physischen Strukturen in Texten funktioniert eh nicht, ohne dass man sie hinein dichtet.

Haben Sie vor weitere Bücher zu schreiben?
Auf jeden Fall. Ich schreibe schon immer. Zu „Schein und Wirklichkeit" gibt es übrigens auch einen Vorläufer. Er bildet die Grundlage meiner jetzigen Kritik, ist sozusagen meine Philosophie. Vielleicht veröffentliche ich diese „Theorie des Wortes" als nächstes.


Das Interview führte Sarah Marzouk